Wiener Besonderheit
Das Zinshaus: Ein Wiener Original
Die Geburtsstunde des Wiener Zinshauses reicht zurück in Kaisers Zeiten, als die Donau-Metropole zwischen 1840 und 1918 besonders rasant wuchs. Aus allen Teilen der Monarchie zog es in der sogenannten Gründerzeit Menschen nach Wien: Die gerade einsetzende Industrialisierung versprach Arbeitsplätze und Aufstiegschancen. Seitdem prägt der Gebäudetyp des Wiener Zinshauses mit seinen teils opulenten Fassaden im Gewand des Historismus das Wiener Stadtbild.
Otto Wagner erkannte im Zinshaus das zentrale Element der modernen Großstadt: In seinen Augen war es die beste Wohnform für die Mehrheit der Bevölkerung und bildete zugleich als Kapitalanlage einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor.
Bauboom in der Kaiserstadt
Die logische Folge des regen Zuzugs war ein Bauboom. Begünstigt durch Steuervorteile, die Gründung des Wiener Stadterweiterungsfonds (1885) und durch die Aufteilung großer Grundstücke entstanden die typischen, auf allen Seiten von Straßen umgebenen Häuserblocks mit einem gemeinsamen Innenhof. Das Wiener Zinshaus, auch bekannt als Gründerzeithaus, tritt seinen Siegeszug an.
Wohnen für Generationen
In der Gründerzeit wurde im Stil des Historismus gebaut – und das recht solide: Außenwände aus Vollziegelmauerwerk mit bis zu 90 cm starken Wänden, massive Decken über dem Kellergeschoss, die zum Teil schon als Stahlträgerdecken ausgeführt wurden, sowie Holzbalken- oder Tram-Traversendecken zwischen den Geschoßen sorgen dafür, dass wir bis heute gut und gerne in Häusern aus der Gründerzeit leben. Auch die Qualität der Böden, Türen und Geländer ist oft hoch – einerseits handwerklich (Arbeitskräfte waren anno dazumal günstiger als heute), als auch im Hinblick auf die verwendeten Materialien. Andererseits gibt es natürlich große Unterschiede, vor allem was die Größe der Wohnungen, die Belichtung und die sanitäre und technische Ausstattung betrifft.
Zinshäuser erkennen und datieren
Mit etwas Übung lässt sich beim genaueren Hinschauen das Alter eines Zinshauses ablesen:
Frühgründerzeit (1840 - 1870)
In dieser frühen Periode zeigen sich die Zinshäuser eher schmucklos und gedrungen, ging es doch in erster Linie darum, so schnell wie möglich günstigen Wohnraum zu schaffen. Sie kommen nur selten über vier Stockwerke hinaus. Die Wohnungen liegen entlang eines langen Ganges (bei den Pawlatschen-Häusern liegt dieser sogar außen) und verfügen über Zimmer und Küche, eventuell noch ein Kabinett. Die Sanitäreinrichtungen sind im Parterre oder am Gang zu finden.
Hochgründerzeit (1870 – 1890)
1865 wurde die prächtige Wiener Ringstraße eröffnet, was sich möglicherweise auch auf die Entwicklung des Zinshaues auswirkte – jedenfalls sind diese ab 1870 nach außen hin reicher dekoriert. Dazu kommt, dass dank der Industrialisierung vorgefertigte Säulen und andere serienproduzierte Dekorelemente leistbarer wurden. Im Vordergrund stand hier die Repräsentation nach außen, denn an der Innenausstattung änderte sich wenig. Dafür verfügen Zinshäuser aus der Hochgründerzeit inklusive Erdgeschoß und Mezzanin nun teilweise über fünf Stockwerke.
Spätgründerzeit (1890 – 1918)
Hohe Grundstückspreise führten zu einer maximalen Ausnützung der Grundstücksfläche. Ab 1895 erlaubt die Bauordnung außerdem, den Hof auf 15 % zu reduzieren. Statt Straßentraktern gibt es Doppel- und Mehrtrakter, die hinteren Räume werden hier über kleine Höfe und Schächte mit Luft und Licht versorgt. Die Zinshäuser dieser späten Phase bringen für die BewohnerInnen also nicht unbedingt Verbesserungen mit sich. Allerdings ist ein Gefälle zu beobachten: Die Zinshäuser in den Vororten verfügen überwiegend über kleine Wohnungen, Toilette und fließendes Wasser befinden sich am Gang. In der Innenstadt sind die Wohnungen größer, die Räume bis zu vier Meter hoch, Sanitäreinrichtungen und Wasser gibt es direkt in der Wohnung. Auch repräsentative Eingangsbereiche und die ersten Lifte finden sich vermehrt in den Zinshäusern der inneren Bezirke.
Übrigens: In den fünfzig Jahren seines Schaffens plante der berühmte Architekt Otto Wagner nicht weniger als 50 Zinshäuser. Er erkannte im Zinshaus das zentrale Element der modernen Großstadt: In seinen Augen war es die beste Wohnform für die Mehrheit der Bevölkerung und bildete zugleich als Kapitalanlage einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor.
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